Vor Kurzem war ich bei einer Grillparty eingeladen, und wie so häufig war die „richtige“ Anlagestrategie das Gesprächsthema schlechthin. Da ich solchen oberflächigen Plaudereien relativ wenig abgewinnen kann, habe ich mich lediglich auf das Zuhören beschränkt. Während sich die Gespräche in der Regel recht schnell um Aktien, Anleihen und ETFs drehen, stehen neuerdings Krypto-Währungen im Mittelpunkt dieser Konversationen.
Ein Bekannter erzählte von seiner Trading-„Strategie“; wie er sie entwickelt und sukzessive verfeinert hat und damit schon häufig hohe Gewinne einfahren konnte. Mit leiser Stimme fügte er anschließend hinzu: „Außer wenn ich Pech habe.“ Das ist ein Paradebeispiel für die selbstwertdienliche Verzerrung.
Ein Zungenbrecher, der uns auch im Alltag stolpern lässt
Die selbstwertdienliche Verzerrung (engl. self-serving bias) beschreibt die Tendenz, eigene Erfolge im Zweifelsfall eher seinen eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben; Misserfolge hingegen mit äußeren Ursachen wie Zufällen zu begründen. Dieses Verhalten ist auch nur all zu menschlich. Zum einen hilft es uns dabei das Selbstbild zu stärken und zum anderen hat der Mensch ein starkes Bedürfnis nach sozialer Wertschätzung und ist so häufig geneigt, sich im bestmöglichen Bild zu präsentieren. Diese emotionale Tendenz verfolgt uns in sämtlichen Alltagssituationen wie beispielsweise in der Schule, im Sport oder bei der Arbeit. Selbst wenn es sich nicht um unsere eigenen Fähigkeiten handelt, können wir der selbstwertdienlichen Verzerrung verfallen. Oder wessen favorisierte Fußballmannschaft verliert nicht die meisten Spiele aufgrund einer schlechten Schiedsrichterleistung?
Nicht nur Otto-Normal ist betroffen
Auch Manager großer Konzerne (deren Selbstbild meistens kaum größer sein könnte), sind vor dieser Tendenz nicht gefeit. Jedem Investor, der schon öfters die Geschäftsberichte studiert hat, müsste das aufgefallen sein. Der Brief an die Aktionäre, in dem der Geschäftsführer die Erfolge und Misserfolge des vergangenen Jahres bespricht, ist ein wahrer Nährboden für die selbstwertdienliche Verzerrung. Während Erfolge meist auf strategischen Meisterleistungen und genialen Schachzügen basieren, sind Misserfolge in der Regel der Konjunktur, der politischen Unsicherheit oder gar dem Wetter („blame-the-weather game“) zuzuschreiben.
Obwohl diese emotionale Tendenz zu unserem Schutz dient, hat sie einen immensen Nachteil. Wir lernen häufig nicht aus unseren Fehlern und begehen sie deswegen immer und immer wieder. Während dieser Umstand im Alltag in den meisten Fällen hinnehmbar ist, können die Auswirkungen auf den Investor unter Umständen fatal sein.
Der Investor und die selbstwertdienliche Verzerrung
Im Zusammenhang mit dem Investor bedeutet die selbstwertdienliche Verzerrung dass wir erfolgreiche Investments mit unseren Fähigkeiten, unserer Strategie oder unserer Intelligenz begründen. Verlustreiche Investments schreiben wir unbeeinflussbaren und unvorhersehbaren Geschehnissen zu.
Dieses Phänomen wurde in einem Experiment empirisch bewiesen. Zwischen April 2008 und Juni 2008 wurden 20.000 Kunden eines niederländischen Brokers zu ihren Handelserfolgen befragt. Nach jedem Monat sollte angegeben werden inwieweit folgende Aussage zutrifft:
Meine vergangener Investment Erfolg basiert auf meinen eigenen Fähigkeiten.
Die Probanden konnten zwischen sieben Aussagen, beginnend mit 1=“überhaupt nicht einverstanden“ bis hin zu 7=“stimme vollständig zu“, wählen.
Die Ergebnisse belegen, dass je höher die Renditen in den Monaten ausfielen, desto eifriger schrieben Investoren diesen Erfolg den eigenen Fähigkeiten zu. Bei negativen Renditen fiel die Zustimmung hingegen deutlich geringer aus.
Hier geht es zu der gesamten Studie.
Die selbstwertdienliche Verzerrung birgt aus der Sicht des Investors zwei Gefahren:
1. Zu häufiges Handeln
Ein Nebeneffekt der Tendenz ist die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Das führt dazu, dass der Investor häufig Handelsentscheidungen trifft, da er – zumindest in aus seiner Sicht – in der Vergangenheit meistens die richtige Entscheidung getroffen hat. Studien beweisen, dass häufiges Handeln keinen positiven Einfluss auf die Rendite eines Investors hat. In jedem Fall aber werden höhere Gebühren sowie häufigere Steuerzahlungen fällig, da erst realisierte Gewinne versteuert werden müssen.
2. Unterdiversifikation
Ein weiteres Resultat ist, dass Investoren nicht ausreichend diversifiziert sind, da sie zu sehr von ihren eigenen Fähigkeiten überzeugt sind. Während ich bereits der Meinung bin, dass eine langfristig überdurchschnittliche Rendite nur erzielt werden kann, indem man ein konzentriertes Portfolio verwaltet, würde ich jedem „neuen“ Investor raten, seine Eier zunächst auf mehrere Körbe zu verteilen. So kann er langfristig selbst herausfinden, welche Strategie für ihn die richtige ist, während er lernt, mit den Gefahren der selbstwertdienlichen Verzerrung umzugehen.